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“We must indeed pray that these awful agencies will be made to conduce to peace among nations, and that instead of wreaking havoc upon the entire globe they may become a perennial fountain of world prosperity.” Winston Churchill, 6. August 1945 (Churchill 2003, 407)
Seit der Entdeckung und beginnenden Erforschung der Radiokativität um die Wende zum 20. Jahrhundert (siehe hierzu Close 2015; Goldsmith 2011; Jorgensen 2016) wird die Atomenergie als potente wie ambivalente Energieform wahrgenommen. Einerseits erschien sie als eine mystische und verheißungsvolle Energieform, die lange gehegte Träume wahr werden lassen könnte. Die Möglichkeit enorme Energie aus einer geringen Masse freizusetzen, lies auf eine neue Ära der der Mobilität hoffen, in der Automobile, Flugzeuge und Lokomotiven durch Atomkraft angetrieben große Distanzen ohne die Aufnahme von Treibstoff und mit hohen Geschwindigkeiten überwinden könnten. Selbst Reisen zu entfernten Planeten schienen durch Atomenergie in den Bereich des Möglichen zu kommen. Die Verwendung atomarer Sprengsätze versprach den Aufwand für die Umsetzung von baulichen Großprojekten wie künstlichen Hafenbecken oder Großkanälen erheblich zu verringern. Und der steigende Elektrizitätsbedarf der Menschheit sollte durch tausende, auf künstlichen Inseln angelegte Kernreaktoren für alle Zeiten gedeckt werden (Lente 2012; Flessner 2011).
Viele dieser Anwendungen blieben Visionen, andere – wie die Verwendung von “nuklearem Dynamit” (Findlay 1990) für bauliche Großprojekte – wurden eingestellt. In großem Umfang realisiert wurde und wird die Nutzung der Atomenergie in der Medizin, etwa in der Diagnostik und der Krebstherapie, in der Landwirtschaft, beispielsweise zur Bekämpfung von Schädlingen wie der Fruchtfliege, in der Raumfahrt zum Antrieb von Raumsonden, und vor allem in der Stromerzeugung: gegenwärtig tragen mehr als 400 Reaktoren in 30 Staaten (plus Taiwan) zur Elektrizitätsversorgung bei. Nicht zuletzt wird die Atomenergie gegenwärtig wieder als probates Mittel zur Bekämpfung der Klimakrise und der Energiekrise diskutiert.
Andererseits wurde die Atomenergie von Beginn an auch als destruktive, apokalyptische Kraft gefürchtet. So mahnte etwa Frederick Soddy, der mit Ernest Rutherford an der Erforschung der Radioaktivität gearbeitet hatte, bereits im Jahr 1903 in einer Rede vor dem Royal Corps of Engineers: „The man who puts his hand on the lever by which a parsimonious nature regulates so jealously the output of this store of energy would possess a weapon by which he could destroy the Earth if he chose” (zit. in Mian 2015, 60). Soddys Mahnung wurde etwas später vom britischen Autor H.G. Wells aufgegriffen und in dessen 1914 erschienener Utopie “Befreite Welt” (orig. The World Set Free) verarbeitet (Wells 2001 [1914]). In dieser beschreibt Wells die Entdeckung von Atomwaffen, die Möglichkeit eines terroristischen Anschlages mit diesen Waffen und deren Einsatz in einem globalen Krieg.
Dieses Verständnis einer alles vernichtenden Kraft verfestigte sich nach der Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki (am 6. und 9. August 1945) sowie vor allem mit der Entwicklung von sogenannten Wasserstoffbomben und der eskalierenden Rüstungsdynamik zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion während der Ost-West Konfrontation. Der Furcht vor der kompletten Zerstörung der Menschheit verlieh etwa auch Präsident Kennedy in einer Rede Ausdruck, die er im September 1961 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen hielt: „Every man, woman and child lives under a nuclear sword of Damocles, hanging by the slenderest of threads, capable of being cut at any moment by accident or miscalculation or by madness. The weapons of war must be abolished before they abolish us.”
Ängste hinsichtlich der negativen Konsequenzen von Nuklearenergie waren und sind jedoch keineswegs auf deren militärische Nutzung beschränkt. Vor allem die Reaktorunfälle in Three Mile Island (USA, 1979), Tschernobyl (UdSSR, 1986) und Fukushima (Japan, 2011) haben nachhaltig am positiven Bild der zivilen Kernenergie gekratzt und die Furcht vor deren negativen Folgen fest im öffentlichen Gedächtnis verankert.
Die zentrale Herausforderung des Atomzeitalters war und ist demnach, wie man die Atomkraft zum Wohle der Menschheit nutzen und gleichzeitig deren zerstörerisches Potenzial zum Schutze der Menschheit einhegen kann (siehe Abbildung 1.1). Genau an diesem Punkt der Janusköpfigkeit der Atomenergie und der Notwendigkeit der Kontrolle ihrer Nutzung setzt das Spiel “Götterfeuer & Menschenhand” an.